Kein Geld für neue Tschernobyls!
Am kommenden Montag jährt sich die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl zum dreizehnten Mal. Aus diesem Anlaß fordern 28 Umweltorganisationen sowie zahlreiche Wissenschaftler und Einzelpersonen in einem gemeinsamen Aufruf von der Bundesregierung, keine neuen Atomkraftwerke in der Ukraine zu finanzieren.
Die Explosion von Block Nr. 4 des Tschernobyl-Reaktors am 26. April 1986 verseuchte große Teile Europas mit radioaktiven Substanzen. Hunderttausende von Menschen mußten damals aus ihren Heimatorten fliehen, sind erkrankt oder gestorben. Das Gesamtausmaß des Unglücks ist selbst heute, 13 Jahre danach, noch nicht abschätzbar. Trotz dieser Katastrophe ist ein Reaktor des Kraftwerks noch immer am Netz. Deshalb erklärte sich die internationale Staatengemeinschaft 1995 bereit, den Schutzmantel um den Unglücksreaktor zu erneuern und die Ukraine bei der endgültigen Stillegung von Tschernobyl mit der Finanzierung von Ersatzkapazitäten zu unterstützen.
Das einzige Angebot, das hierfür auf Regierungsebene ernsthaft in Erwägung gezogen wurde, ist die Fertigstellung der sowjetischen Atomreaktoren Khmelnytsky-2 und Rivne-4 (K2/R4). Verschiedene Studien belegen jedoch, daß die Ausbaupläne der Kraftwerke auch mit westlicher Technologie erhebliche Sicherheitsmängel aufweisen. Sie würden in keinem westlichen Land eine Lizenz erhalten. Zusätzlich zu den technischen Mängeln birgt die Finanzkrise, in der sich die Ukraine befindet, ein weiteres enormes Sicherheitsrisiko. Derzeit sind nicht einmal Gelder für notwendige Reparaturen an den vorhanden Atomkraftwerken und die Gehälter der Angestellten vorhanden. Der Ausbau zusätzlicher Reaktoren würde diese Situation weiter dramatisieren.
"Die Ukraine braucht dringend internationale Unterstützung bei der Schließung des Atomkraftwerks Tschernobyl. Zwei neue Tschernobyls zu finanzieren, um ein altes stillzulegen, hieße aber, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben - und das gegen den Willen der Bevölkerung", meint Heike Drillisch von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation WEED.
Die UnterzeichnerInnen des Aufrufs fordern die Bundesregierung daher auf, gegen die Bewilligung von Krediten und Hermesbürgschaften für K2/R4 zu stimmen und sich stattdessen ernsthaft für die Finanzierung eines Gaskraftwerks sowie von Energiesparmaßnahmen als Alternativen zu Tschernobyl einzusetzen.
SPD und Bündnis 90 / DIE GRÜNEN haben gestern einen parlamentarischen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem sie die Bundesregierung ausdrücklich auffordern, keine Gelder für die Fertigstellung von k2/R4 zu bewilligen. "Glücklicherweise hat das Wahnsinnsprojekt mittlerweile auch auf politischer Ebene Widerstand hervorgerufen", urteilt Christoph Benze, Mitarbeiter der Umweltorganisation URGEWALD. "Bisher hat die Bundesregierung trotz gegenteiliger Absichtserklärungen noch keine Initiativen gestartet, die anderen G 7-Staaten von nicht-nuklearen Alternativen zu überzeugen. Wir erwarten, daß sich das nun ändert."
Hintergrund:
1995 beschlossen die G-7 Staaten mit der ukrainischen Regierung in einem "Memorandum of Understanding" (MoU), das AKW in Tschernobyl bis zum Jahr 2000 vollständig stillzulegen. Im Gegenzug wurde eine Finanzierung in Höhe von US$ 2,3 Milliarden vereinbart, um Ersatzkapazitäten für die Ukraine zu schaffen. Die Finanzierung für dieses Projekt soll durch Kredite der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und von Euratom sowie durch Garantien verschiedener Exportkreditversicherungen, darunter Hermes (Deutschland), Coface (Frankreich) und EXIM-Bank (USA), ermoeglicht werden.
Mit Hilfe der Fertigstellung von K2/R4 soll es der Ukraine ermöglicht werden, die letzten funktiorenden Reaktoren von Tschernobyl endgültig abzuschalten. Diese beiden "neuen" Reaktoren des russischen Typs WWER-1000/320 gelten nach Meinung mehrerer Experten jedoch als extrem unsicher. Verschiedenen Studien zufolge stellen sie auch nicht die wirtschaftlichste Lösung dar. Ein umweltfreundlicheres Gasturbinenkraftwerk, das wesentlich besser den ukrainischen Energiebedürfnissen entsprechen würde, kostet gerade einmal die Hälfte.
Weitere Informationen sind erhältlich bei:
URGEWALD, Von-Galen-Str. 4, 48336 Sassenberg, Tel. (02583) 1031, Fax (02583) 4220, e-mail urgewald@koeln.netsurf.de; Ansprechpartner: Christoph Benze
WEED, Bertha-v.-Suttner-Platz 13, 53111 Bonn, Tel. (0228) 766 13-0, Fax (0228) 69 64 70, e-mail weed@weed-online.org; Ansprechpartnerin: Heike Drillisch