Willkürliche Enteignungen am umstrittenen Ilisu-Staudamm.
Ohne Wissen der verantwortlichen Stellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat die türkische Regierung begonnen, erste vom Ilisu-Staudamm am Tigris betroffene Dörfer zu enteignen. Die angeblich verbindlichen Auflagen der Exportkreditagenturen wurden dabei komplett ignoriert, wie die europäische Ilisu-Kampagne vor Ort erfahren hat.
Berlin, 23.10.2007 - Ohne Wissen der verantwortlichen Stellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat die türkische Regierung begonnen, erste vom Ilisu-Staudamm am Tigris betroffene Dörfer zu enteignen. Die angeblich verbindlichen Auflagen der Exportkreditagenturen wurden dabei komplett ignoriert, wie die europäische Ilisu-Kampagne vor Ort erfahren hat.
Die betroffene Bevölkerung ist verzweifelt und die Empörung in der vom Ilisu-Staudamm im Südosten der Türkei betroffenen Region wächst. Dies stellte Christine Eberlein, Mitarbeiterin der Schweizer Organisation "Erklärung von Bern" und Mitglied der europäischen Ilisu-Kampagne, fest, als sie Mitte Oktober die Dörfer Ilisu und Karabayir besuchte und sich in Gesprächen mit den Einwohnern ein Bild von der Lage machte. Ihr Bericht enthüllt die miserablen Entschädigungsangebote und unlauteren Vorgänge, mit denen die türkische Wasserbehörde die Betroffenen zum Wegzug bewegen will.
Mit 150 Auflagen, die sie an ihre Bewilligung einer Hermesbürgschaft für das Projekt knüpften, hatten die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sicherstellen wollen, dass die Umsiedlungsopfer faire Entschädigungen und neue Einkommensmöglichkeiten erhalten. Obwohl die endgültigen Bürgschaftsverträge für das Projekt noch nicht einmal unterzeichnet sind, begann die türkische Regierung mit den Enteignungen und umgeht die Auflagen dabei völlig.
So wurde den betroffenen Familien keine angemessene Siedlungsalternative angeboten, wie die Auflagen fordern, sondern lediglich ein karges Stück Bergland. Daher haben alle Familien eine Geldentschädigung vorgezogen, die jedoch so gering ausfiel, dass sie nicht zum Aufbau einer neuen Existenz reicht. Der Verlust von Einkünften aus dem Tourismus wird überhaupt nicht entschädigt. Die Enteigneten fühlen sich betrogen und haben vor Gericht Klagen eingereicht. Besonders pikant ist, dass der Dorfvorsteher von Ilisu, der auf Einladung des Ilisu-Bau-Konsortiums letztes Jahr in Deutschland und der Schweiz noch für den Staudamm warb, nun in einem Brief an die Verantwortlichen in Europa seinen Unmut zum Ausdruck bringt und um rasche Unterstützung bittet. "Was sollen wir in der Stadt arbeiten? Wie können wir in Zukunft unseren Lebensunterhalt bestreiten?" fragt er stellvertretend für die verzweifelte Dorfbevölkerung.
"Die jetzt durchgeführten Enteignungen offenbaren die ganze Tragik des Ilisu-Projekts", stellt Heike Drillisch von der deutschen Nichtregierungsorganisation WEED fest, die die Pläne zum Bau des Ilisu-Staudamms seit Jahren beobachtet. Nichtregierungsorganisationen hatten die Exportkreditagenturen (ECAs) immer wieder auf das Fehlen von angemessenem Ersatzland hingewiesen. "Es ist eine Schande, dass die ECAs offensichtlich unfundierten Behauptungen der türkischen Behörden Glauben schenkten. Die Bevölkerung steht nun vor dem Nichts." Christine Eberlein ergänzt: "Die ganzen Auflagen sind wertlos, wenn sie so einfach von der Türkei ignoriert werden können Die ECAs sagen jetzt, dass sie unsere Bedenken sehr ernst nehmen. Hätten sie das Projekt gewissenhafter geprüft, hätten sie die jetzigen Probleme leicht vorhersehen können und hätten die Bürgschaft nie bewilligt." Die Nichtregierungsorganisationen fordern die Exportkreditagenturen auf, für eine Korrektur des türkischen Vorgehens zu sorgen oder ansonsten ihre Unterstützung für das Projekt umgehend zurückzuziehen. "Im Schatten eines drohenden Krieges in der Region dürfen die Menschenrechte der Staudammopfer nicht auf der Strecke bleiben", so Drillisch.
Hintergrund: Die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz bewilligten Ende März 2007 Exportkreditversicherungen (Hermesbürgschaften) über insgesamt ca. 500 Mio € für das Ilisu-Projekt, um die Beteiligung der Andritz AG (A), der Stuttgarter Baufirm Ed Züblin (D) sowie der Schweizer Unternehmen Alstom, Colenco, Maggia und Stucky zu ermöglichen. Im August unterzeichneten die DekaBank, Bank Austria Creditanstalt sowie Société Générale die Finanzierungsverträge. Die endgültigen Bürgschaftsverträge sind allerdings noch nicht unterzeichnet. Der Ilisu-Staudamm wird zwischen 55.000 und 78.000 Menschen, überwiegend Kurdinnen und Kurden, betreffen. Mindestens 11.000 Menschen werden ihr gesamtes Land verlieren. Bereits begonnen hat die Enteignung in den Dörfern, die nahe der geplanten Baustelle liegen, darunter Ilisu und Karabayir. Ihre Umsiedlung wurde von den Exportkreditagenturen als Test für die Umsiedlung der im Gebiet des künftigen Reservoirs gelegenen Dörfer bezeichnet, die erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll.
Für weitere Informationen Der Reisebericht von C. Eberlein sowie der Brief des Dorfvorstehers aus Ilisu sowie weitere Projektinformationen befinden sich auf www.evb.ch/ilisu und www.weed-online.org/ilisu .
Kontakt: Heike Drillisch (WEED), 0177 - 345 26 11, heike.drillisch@weed-online.org Christine Eberlein (EvB), 0041 - (0)79 426 30 56, ceberlein@evb.ch