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Hoffnung auf Abhilfe für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen in Mexiko?

Anton Pieper ist Referent für Wirtschaft und Menschenrechte bei WEED. Vom 21. – 30.05.2025 war er in Mexiko um mit Aktivist*innen, NGOs, pol. Entscheidungsträger*innen und Unternehmen über den MRDH zu sprechen.

Es stinkt bestialisch. Der beißende Geruch nach faulen Eiern, Schwefel, Abwässern und Moder liegt in der Luft. Ich laufe auf der Brücke über den Wasserfall von El Salto nach Juanacatlán über den Río Santiago. Schwaden übelriechender Gischt ziehen an mir vorüber, nach wenigen Minuten fangen meine Augen an zu tränen, mir wird schlecht. Das Wasser hat eine ungesunde, mal gelblich-graue, mal grünlich-braune Färbung. Die Schaumbildung ist enorm, auch viele hundert Meter nach dem Wasserfall, von dem der Ort El Salto seinen Namen hat.

2 Gelblich-graue bis grünlich-braune Färbung, extreme Schaumbildung. Rio Santiago bei Juanacatlán, Jalisco, Mexiko

2 Gelblich-graue bis grünlich-braune Färbung, extreme Schaumbildung. Rio Santiago bei Juanacatlán, Jalisco, Mexiko

Ich bin etwa eine Autostunde von Guadalaraja entfernt, der zweitgrößten Stadt Mexikos, im Bundestaat Jalisco. Hier in der Gegend befindet sich eines der wichtigsten Industriezentren des Landes, mit etwa 600 Fabriken. Über 70 davon gehören zu internationalen Unternehmen, darunter auch deutsche Unternehmen und Zulieferbetriebe der deutschen Automobilindustrie.

Die Menschen, die in der Region leben, sind überwiegend arm, die geballte Ansiedlung von Industrie bringt keinen Wohlstand. Im Gegenteil: Die Gemeinden El Salto, Juanacatlán und Tonalá haben landesweit die höchsten Raten an Nieren-, Atemwegs- und Krebserkrankungen, insbesondere bei Kindern, Jugendlichen und Schwangeren.[1] Vielerorts fehlt es an Elektrizität, Zugang zu sauberem Wasser oder sanitären Anlagen.

3 Die Häuser in Flussnähe sind größtenteils heruntergekommen. El Salto, Jalisco, Mexiko

3 Die Häuser in Flussnähe sind größtenteils heruntergekommen. El Salto, Jalisco, Mexiko

Studien des Mexikanischen Instituts für Wassertechnologie (IMTA) und der Universität von San Luis Potosí belegen unter anderem das Vorhandensein von 1.090 toxischen Substanzen im Wasser und die extrem hohe Konzentration von Schwermetallen im Blut von Kindern, die in Gebieten nahe des Flusses leben.[2]

Die UN hat ein Programm zur Widerherstellung und Renaturierung des Flusses aufgelegt, welches zum Ziel hat, den Fluss bis 2050 (!) vollständig zu entgiften.[3] Es ist offensichtlich, dass die Gemeinden diese Zeit nicht haben. Darüber hinaus ist klar, dass den in der Region ansässigen internationalen und somit auch den deutschen Unternehmen eine besondere Verantwortung zukommt.

4 Der Rio Santiago bei El Salto. Eigentlich ein Postkartenmotiv – vor Ort möchte man sich aufgrund des Gestankes jedoch nicht lange aufhalten.

4 Der Rio Santiago bei El Salto. Eigentlich ein Postkartenmotiv – vor Ort möchte man sich aufgrund des Gestankes jedoch nicht lange aufhalten.

Welche Möglichkeiten gibt es also, Druck auf Verantwortliche auszuüben? Kann ein Instrument wie der unternehmensübergreifende Beschwerdemechanismus (MRDH – Mechanismo Reclamaciones Derechos Humanos) hier eine Lücke schließen? Der MRDH ist darauf ausgelegt, Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen in Mexiko entlang der Wertschöpfungsketten automobiler Lieferketten zu Abhilfe und Wiedergutmachung zu verhelfen.

Seit Mai 2024 ist der MRDH im Einsatz und seitdem sind bereits mehrere Fälle von Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen in den Wertschöpfungsketten deutscher automobiler Unternehmen eingegangen.

Mexiko ist ein wichtiges Land für die deutsche Automobilindustrie – sowohl als Standort für eigene Werke als auch für die vorgelagerte Wertschöpfungskette. Gleichzeitig sind in Mexiko menschenrechtliche Risiken entlang aller Stufen der Wertschöpfung weit verbreitet. Derzeit verfügen Unternehmen zum Teil über betriebseigene Beschwerdekanäle, die jedoch nicht über die eigenen Werke hinausgehen. Der MRDH ist nun der erste Versuch, einen wirksamen Mechanismus, der die gesamte Wertschöpfungskette abdeckt, umzusetzen.

5 In Mexiko sind Unternehmen entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette angesiedelt. Auch viele Zulieferbetriebe produzieren hier. Die Fertigung von Autoteilen erhöhte sich 2024 um 3,5 % gegenüber dem Vorjahr.

5 In Mexiko sind Unternehmen entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette angesiedelt. Auch viele Zulieferbetriebe produzieren hier. Die Fertigung von Autoteilen erhöhte sich 2024 um 3,5 % gegenüber dem Vorjahr.

Nach dem Konzept des MRDH soll dieser einerseits als Frühwarnsystem dienen und andererseits den Zugang zu Abhilfe für Betroffene verbessern. Es bleibt abzuwarten, inwiefern der Mechanismus auch für Menschen, die bspw. unter den Auswirkungen der Umweltverschmutzung an den Ufern des Rio Santiago leiden, zugänglich ist. Und welche Möglichkeiten haben Instrumente wie der MRDH bei komplizierten Fällen systemischer Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung zu effektiver Abhilfe beizutragen?

Den Gemeinden an den Ufern des Rio Santiago ist zu wünschen, dass sie Wege finden, ihre Rechte einzufordern und Wiedergutmachung zu erlangen. Die gesamte Region um Guadalaraja könnte aufatmen und aufblühen, wenn dieser gewaltigen Umweltverschmutzung Einhalt geboten werden könnte.

Anton Pieper ist Referent für Wirtschaft und Menschenrechte bei WEED. Er vertritt die dt. Zivilgesellschaft im Executive Committee (Steuerungsgremium) und im Multistakeholderboard des MRDH. Vom 21. – 30.05.2025 war er in Mexiko um mit Aktivist*innen, NGOs, pol. Entscheidungsträger*innen und Unternehmen über den MRDH zu sprechen.



[1] https://www.jornada.com.mx/notas/2021/02/14/estados/colectivos-de-el-salto-exigen-hospital-para-enfermos-renales-y-de-cancer/

[2] https://www.zonadocs.mx/2022/06/09/rio-santiago-promesas-sin-cumplir/

[3] https://sdgs.un.org/partnerships/continue-santiago-river-recovery-and-restoration-jalisco-mexico


Infos

  • Autor*innen : Anton Pieper
  • Referat: Automobilindustrie, Menschenrechte und Wirtschaft

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